Mittwoch, 8. Februar 2012

Dschungelabenteuer

Ich brüte über Herta Müller Texten und Theorien zum Metaphernverstehen, während sich draußen ein paar wenige Schneeflöckchen zaghaft ihren Weg durch die eisige Luft auf die Erde bahnen. Hoffentlich haben sich die Guten ein Hemdchen und lange Unterhosen unter ihr weißes Gewand angezogen, den Bauch nochmal mit Wintertee gefüllt und nicht nur zu den preiswerteren Deichmann-Stiefelchen, welche zwar hübsch anzusehen sind, allerdings aufgrund viel zu dünner Sohle und zu wenig Fütterung nicht Kälte geeignet sind, gegriffen. Wenn nicht, dann werden wohl selbst die extrem robusten, dicken Flocken einen Kälte-Schock bekommen, wenn sie mit den kleinen Füßchen die Erde berühren. Schlau sind dann die Flocken, die sich auf Nasenspitzen, Mützen, Lockenköpfe und Hunderücken setzten, da ist es sicher nicht ganz so eisig.
Zum Glück kriecht die Kälte nicht in mein Studierzimmerchen, der Zentralheizung sei dank. Hier schwirren auch keine Schneeflöckchen durch die Luft, sondern Gedankenfetzen und kleine Ideenteilchen, die den vielen Texten und Büchern entspringen, welche um mich her aufgestapelt sind, und darauf warten, geöffnet und gelesen zu werden. Ich hoffe, die guten Gedanken alle einfangen und behalten zu können und bahne mir mit Marker, Stift und Papier bewaffnet meinen Weg durch die endlosen Weiten des Wissenschaftsdschungels. Dabei scheint die Zeit wieder einmal gegen die Dschungelheldin zu laufen. Die Prüfungen rücken stündlich näher, und die dunkle Seite der Macht, welche tausend andere Aktivitäten vorschlägt, die frau lieber tun würde (Schlittenfahren, Eis laufen, den WSV auskosten, sich mit Einrichtungsideen für die neue Wohnung beschäftigen, Lesen und Tee trinken...die Liste ist endlos), zerrt ebenfalls an den Nerven. Doch zwischen dem wissenschaftlichen Blattwerk, den Ästen aus Modellen, den Theorien-Schlingpflanzen und Lianen bricht hier und da immer wieder ein Lichtblick herein, der ein wenig aufatmen und an das Ziel denken lässt - sich endlich aus dem Wissenschaftsdschungel zu befreien und sich aufzumachen zu neuen Ufern, eine neue Welt - "Schule" zu entdecken. Vor ein paar Jahren sehnte ich den Tage herbei, diese zu verlassen und nun möchte ich endlich dahin zurück - wie das Leben so spielen kann. 5 Jahre Studium reichen mir nun voll und ganz, das wird mir im Prüfungsstress wieder bewusst. Nachdem die Studentenfressenden Pflanzen: "Examensprüfungen", besiegt und überstanden sind, gilt es dann auch noch den Endgegner: die wissenschaftliche Hausarbeit zu besiegen. Am Horizont seh ich schon ihre Schatten und der Hausarbeits-Koller winkt ebenfalls mit einem breiten Grinsen von Weiten.
Da sitzt die Motivation doch eher wie ein kleines Häufchen Elend auf meinem Bettchen und schmollt. Sie verkündet mir stündlich einmal, dass sie auf das Ganze nun keine Lust mehr habe und gehen will. Zum Glück konnte ich sie doch noch immer wieder, in letzter Minute einfangen und sie überreden, sich mit mir durch den Urwald aus prüfungsrelevantem Wissen zu schlagen. Nicht sehr förderlich sind dann wiederrum die bösen, kleinen, dunklen Gedanken an die Lehrerbedarfsprognosen und an die Referendariats-Einstellungszahlen des Bundeslandes, welches sich selbst als grünes Herz Deutschlands bezeichent, allerdings für seinen Nachwuchs kein Herz beweist und die jungen Triebe schon vorzeitig stutzt, neue, begeisterte, hochqualifizierte und vor Kreativität sprühende kleine Pflänzchen im Keim erstickt und gar nicht erst bis ans Licht kommen lässt. "Beantragen Sie schon frühzeitig Hartz IV" - so erklärte man auf der Info-Veranstaltung zum Referendariat in Thüringen, "aber keine Sorge, sie haben ein Anrecht auf einen Referendariatsplatz, es kann eben ein Weilchen dauern, bis sie einen bekommen!". 5 Jahre Studium und dann ab in die Arbeitslosigkeit - solche Gedanken sind nicht gerade förderlich für die Motivation. Die Augen des kleinen Wesens füllen sich in solchen Momenten mit großen Kullertränen und zu ihr gesellen sich dann ganz schnell die unliebsamen Gäste: Wut und Frustration. Beide keine angenehmen Zeitgenossen. Ständig kämpfen und kabbeln sie miteinander, rufen Schimpfwörter, streiten sich und bringen mir alle guten Gedankenteilchen im Zimmer durcheinander, so dass ich von meinem Pfad durch den Wissensdschungel abkomme und ihn wieder neu finden muss, nachdem ich die beiden Quälgeister vor die Tür, in die eisige Kälte gesetzt habe. Da können sich die Gemüter abkühlen und sie stören mich nicht mehr.
Die weinende, und in sich zusammengesackte Motivation nehme ich dann, drück sie und wisch ihr mit einem Taschentuch die Nase trocken. Danach rede ich ihr gut zu, bis ihre Augen wieder ein wenig von dem leuchtenden, glänzenden eifrigen Schimmer bekommen, und erinnere sie daran, dass bald der Umzug bevorsteht, die neue Wohnung Gestalt annimmt und ab April der Liebste jeden Tag in der Nähe ist. Da bekommt die kleine Motivation wieder rote Wangen, klimpert mit ihren Äuglein und ist schon fast wie vorher. Und zum Schluss nehme ich sie an der Hand, geh mit ihr ein Stückchen durch den herrlich winterlich verschneiten Park und trink danach mit ihr eine schöne heiße Tasse Kaffee, da wächst die Kleine wieder über sich hinaus, bekommt neuen Schwung und ist doch recht zufrieden mit sich und der Welt.