Donnerstag, 4. März 2010

Koller und Verzweiflung

Zum Hausarbeitskoller ist nun noch eine weitere alte Bekannte hinzugekommen: die Verzweiflung. Sie hockt in einer kleinen Ecke meines Zimmers. Ihre langen, schwarzen, ungekämmten Haare fließen wie Wasser über ihren Rücken und das blasse Gesicht. Sie jammert mit einer hohen, qualvollen Stimme und weint in ein schnoddriges Taschentuch. Ihr gelbes Kleidchen wird dabei ganz schmutzig und manchmal erschrickt so gar der Koller vor der Tränenflut. Dann hält er inne, schaut etwas dümmlich drein und gibt einen langen Wortrülpser von sich. Die einzelnen klebrigen Silben kratze ich dann von meinem Schreibtisch, bevor sie sich mit meinen Gedanken vermischen.
Gestern schnappte ich mir die wichtigsten Arbeitssachen und ging in die Bibliothek. `Dort lässt es sich vielleicht besser arbeiten, dort hast du so viele Bücher, so viel Wissen auf einem Haufen und dort kriegen deine Gedanken vielleicht endlich wieder einen Anschub um sich durch den grünen Wackelpudding in deinem Gehirn zu fressen und zum kleinen Mann im Ohr durchzudringen' So dachte ich mir.
Natürlich verfolgten mich meine beiden neuen Weggefährten auf Schritt und Tritt. Ein kuglig, hopsender, etwas müffelnde Koller und die vor sich hin heulende, vollgeschnodderte Verzweiflung - das gab ein tolles Bild. Aber in der großen Stadt hat jeder so seine eigenen Weggefährten, da fällt eine Studentin mit ihren Sorgen gar nicht auf.
In der Bibliothek angekommen stellte ich anhand der erschreckend wenig freien Schließfächer schon fest - 'Mist, du bist wohl nicht die Einzige, die in den letzten Wochen nochmal ordentlich arbeiten muss.' Ich kämpfte mich trotzdem in die richtige Abteilung vor und griff mir, von neuem Arbeitseifer gepackt, gleich einen riesigen Stapel sehr vieler sehr schlauer, leider auch sehr schwerer Bücher. 'Nur noch einen schönen ruhigen Platz finden, am besten mit PC, und du hängst dich da gleich voll rein in die Arbeit.' Den Wunsch nach einem freien PC strich ich schnell wieder. Allerdings war ich auch kurz davor den Wunsch nach einem Sitzplatz zu streichen, bis ich endlich einen nicht belegten Stuhl ausmachen konnte. Bücher auf den Tisch gewuchtet und durchgeamtet. 'Melanie - da hast du schon viel geschafft. Und mit den ganzen Büchern machst du einen schlauen Eindruck. Komisch - wo wohl der Koller und die Verzweiflung hocken? Haben die sich an die Fersen eines geplagten Studenten im Staatsexamen geheftet? Gut wär es ja - am besten gar nicht so tun, als hättest du bemerkt das sie weg sind. Vielleicht haben sie dich auch einfach nur verwechselt mit jemand anderen?'
Dann kann es ja los gehen. Erstes Buch aufgeschlagen. Lautes Tastenklimpern neben mir. Die scheint ja gut voran zu kommen mit ihrer Arbeit. 'Toll alle kommen vorwärts nur ich nicht.' Wieder eine Seite des Buches in meiner Hand zieht ohne großen Wissenszuwachs an mir vorbei. 'Mit welchem Thema beschäftigt sich eigentlich der Typ vor mir? Oh - nen Religionswissenschaftler, hätte dir auch gleich am Auftreten auffallen können, dass das kein Theologe ist.' Die nächsten Seiten des Fachbuches blieben mir inhaltlich ein Geheimnis. 'Hey, die in der dritten Regalreihe, die haste doch schon mal in einer Vorlesung gesehen. Ach Mensch -muss sie also auch noch was fertig schreiben. Gleiches Recht für alle - nicht wahr.'
'Ich geb es auf. So wird das mit dem Arbeiten nichts.' Ich schaffte es wenigstens die wichtigsten Bücher meines kleinen Fachbuchimperiums herauszufischen und entschloss einen Kopierer aufzusuchen. 'Arbeite ich eben zu Hause daran. Da sind nur der Koller, die Verzweiflung und die Bauarbeiter, die zur Zeit den Keller aufstemmen.' Trotz unangenehmer Geräuschkulisse fühlt man sich dann wenigstens nicht so allein den ganzen Tag. Manchmal würde ich allerdings schon gern mit denen Tauschen. Vielleicht sollte ich Morgen einfach mal mit einer Cola runtergehen und sagen - "Jungs, ich mach das hier fertig, macht ihr mal oben mein Krams zu Ende - da könnt ihr euch mal ein bisschen körperlich ausruhen. Is doch nicht gut die Schinderei hier den ganzen Tag, und all der Staub- nee nee." Ich glaub das probier ich einfach.
Nun streifte ich mit einem kleineren, aber immer noch schweren Stapel Bücher durch die Regalreihen zum Kopierraum, um schon von Weitem festzustellen - 'Verdammt, noch 2 vor mir mit riesigen Bücherstapeln, und schon eine im Raum. Ach, dann gehste einfach eine Etage weiter hoch. Da erwartete mich allerdings das selbe Bild. Naja, versuchst du es eben in der Kunstabteilung. Die kopieren da eh nie was und dort ist es meist ein bisschen leerer. Super - keiner der vorm Raum wartet. Da hast du sie alle schön ausgetrickst Melanie. Tja, man muss sich eben nur ein wenig auskennen und mal über den Tellerrand hinausschaun. Am Besten gibst du denen unten nachher diesen Geheimtip. Jaja, nach 5 Semestern kenn ich mich hier gut aus in der Thulb - ist praktisch mein zu Hause, wisst ihr. Vertraut mir, da oben könnt ihr echt besser arbeiten! Da lässt es sich aushalten!'
Ein kleines Schild am Kopierer bellte mich allerdings an: Defekt! 'Ob ich`s doch versuch? Vielleicht klebt der Zettel nur dran, weil der nicht benutzt werden will.....nee ich lass es lieber - bin am Ende wieder die doofe. Will ja auch nicht wirken wie ein Ersti!'
Nach einem 10 minütigem Streifzug durch das restliche Gebäude, reihte ich mich schließlich doch in eine Schlange vor einem Kopierraum ein. Nach 20 Minuten Wartezeit war ich dann auch endlich dran und holte mir eine Portion des grünen Kopierlichtes. Das heimliche Solarium der Bildungselite - oder so ähnlich. Komisch, dass das Licht des Kopierers, der Koller und der Wackelpudding in meinem Hirn grün sind. Mir blieb für die weitere Erörterung dieses Themas allerdings keine Zeit mehr. Nach 2 Stunden kämpfte ich mich wieder aus der Bibliothek und zurück in meine Wohnung. Gerade schloss ich die Tür, als - Klatsch - der Koller taumelte zurück als ich nochmals zurückblickte. Er war mir also doch wieder gefolgt. Diese Klette. Jetzt kletterte eine dicke Kullerträne aus seinen Augen und seine Nase lief ein wenig. Ich ließ ihn rein. Irgendwie tat er mir jetzt doch ein bisschen Leid. Er hat es ja auch nicht einfach. Und ein bisschen hab ich mich an ihn gewöhnt und ihn in mein Herz geschlossen, zumindest bis zum Abgabetermin. Nach wenigen Minuten erklang dann ein lautes, jammervolles Wehklagen im Gang. Koller und ich tauschten einen Blick aus und 2 Minuten später saß die Verzweiflung wieder in ihrer Ecke und strich sich ein wenig die Haare aus den Augen. Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch und starrte auf die leere Seite auf dem Computerbildschirm. 'Da haste ja richtig was geschafft heute.'